«Seit der Staatsgründung Israels hat sich das Land
von einer landwirtschaftlichen Kolonie in einen
Wohlfahrtsstaat verwandelt, der total in den Weltmarkt
integriert ist, aber grosse Einkommensunterschiede aufweist.
Jonathan Nitzan und Shimshon Bichler lehren politische
Ökonomie in Israel und den USA und warten mit provokanten
Thesen zum Nahostkonflikt auf: Der Nahostkonflikt werde nicht
auf den Strassen von Nablus oder in den Hütten des
Flüchtlingslagers Jenin entschieden, sondern in den
Führungsetagen der multinationalen Konzerne, in denen die
Spitzen der Rüstungs- und der Ölindustrie die Fäden gegen die
Kritiker der Globalisierung zögen. Diese These klingt auf den
ersten Blick wie eine Verschwörungstheorie, aber das Buch ist
viel zu seriös, als dass man es mit diesem Vorwurf
diskreditieren könnte.
Allianz von Rüstungs- und Ölwirtschaft
Oberflächlich betrachtet hätten wir es im Nahen
Osten mit einem Huntington'schen «Zusammenstoss der Kulturen»
zu tun, schreiben die Autoren. Diese Sicht drückt sich häufig
in Klischees aus: «Jihad versus McDonald's», «islamischer
Fundamentalismus versus Markt», «fremdenfeindlicher
Nationalismus versus Neoliberalismus» oder «Dritte Welt versus
Erste Welt». In jeder Verallgemeinerung steckt ein Korn
Wahrheit, so gewiss auch in diesen. Neben den oberflächlichen
Erklärungsmustern gibt es aber gewichtigere Gründe, welche die
radikale Umkehr in den internationalen Beziehungen erklären.
Für die Autoren liegen sie in der Natur der
Kapitalakkumulation, den Besitzverhältnissen und den
innerkapitalistischen Widersprüchen. Alles altbekannte
marxistische Analysekategorien.
In den Kapiteln «Kapital und Macht», die
«Geschichte der israelischen Machtstruktur», die «Schaffung
der Stagflation», die «WaffendollarPetrodollar-Koalition» und
«Vom ausländischen Investor zum transnationalen Besitzer» wird
die Entwicklung Israels politökonomisch gedeutet. Erstmals
werden diese Fragen gestellt und beantwortet. Um die
kapitalistische Entwicklung zu verstehen, so lautet eine These
der Autoren, sei es notwendig, die künstliche Trennung
zwischen Wirtschaft und Politik aufzuheben. Wie künstlich
diese Allianz sei, zeigen die Autoren an der Entstehung der
«Waffendollar-Petrodollar-Koalition» zu Beginn der siebziger
Jahre. Sie bestand aus den Ölgesellschaften, den
Waffenproduzenten und der Opec und wurde von den USA und
einigen europäischen Ländern unterstützt. Der zentrale Fokus
dieser Allianz bestand in der «Energie- und Ölkrise». Die
Logik dieses Prozesses war einfach: Hohe Preise brachten den
Ölgesellschaften grosse Profite. Auch die Opec-Länder
profitierten davon und kauften von diesem Geld Waffen, um sich
auf den nächsten Krieg vorzubereiten. Zu dieser Zeit ging ein
Drittel der Waffenexporte in den Nahen Osten.
New Economy und Friedensprozess
Diese Koalition zerbrach 1990 nach dem Ende des
Kalten Krieges und wurde - immer gemäss den Autoren - durch
die «Technodollar-Mergerdollar-Koalition» ersetzt, die auf
ziviler Technologie gründete. Statt von «Kriegsprofiten»,
Nationalismus und Konflikten sprach man jetzt von
«Friedensdividende», Auslandinvestitionen und neuen Märkten.
Diese neoliberale Koalition schien bis Ende 2000 auch äusserst
erfolgreich. Ihre Profite stiegen auf 15 Prozent, wohingegen
die Gewinne aus dem Öl- und dem Waffengeschäft nur 3 Prozent
ausmachten, wie Nitzan und Bichler festhalten. Die Politik des
Friedensprozesses habe allerdings Erwartungen des
transnationalen Liberalismus zunichte gemacht, weil man Arafat
zum Chef von «Palustan» und die besetzten Gebiete zu einem
«Schweizer Käse» gemacht habe, einem Gebilde ohne politische
und wirtschaftliche Souveränität, ohne Wasserrechte, mit allen
Siedlungen und in totaler Abhängigkeit von Israel. Hinzu kamen
die innerisraelischen Probleme, insbesondere die
demographischen.
Neues Gewaltpotenzial
Für die Autoren entscheidet nicht Ariel Sharon
oder Yasir Arafat über die Zukunft des Nahostkonfliktes. Sie
seien Rädchen in einem grösseren Ganzen und verfügten nur über
einen ihnen zugestandenen Handlungsspielraum. Nicht
Persönlichkeit oder Ideologie sind demnach die entscheidenden
Faktoren, sondern die globalen ökonomischen Verhältnisse. Als
Sharon die Macht übernahm, hatte die New Economy ihren
Höhepunkt bereits überschritten. Der Ölpreis stieg von 1999
bis 2000 von 10 auf 30 Dollar. Im Januar 2001 übernahm eine
erzkonservative Elite die Macht in den USA, welche die
Interessen der Öl- und Rüstungswirtschaft vertritt. Für die
Autoren ist der Nahostkonflikt ein Spielball der beiden sich
widerstreitenden Koalitionen. Sollte die Öl- und Waffenlobby
obsiegen, dann könnten sich der Konflikt und die Gewalt als
zerstörerisch für die Region entpuppen, lautet das Fazit.
Auf den ersten Blick mag die Stringenz der
marxistischen Analyse anachronistisch wirken, aber sie bietet
ein völlig anderes Erklärungsmuster für einen Konflikt, der
gemeinhin als ein Kampf um Land, Wasser, Ideologie oder
Selbstbestimmung gedeutet wird. Die Autoren wollen mit der
«irreführenden» Terminologie, die diesen Konflikt beherrscht,
aufräumen und Israel als Dominostein in dem von den USA
dominierten kapitalistischen System verorten. Der ganze
Nahostkonflikt gerinnt zu blosser Politökonomie; dies verleiht
dem Buch teilweise kafkaeske Züge. Es sollte aber nicht nur
von Ökonomen zur Kenntnis genommen werden.
Ludwig Watzal
Jonathan
Nitzan and Shimshon Bichler: The Global Political Economy of
Israel. Pluto, London 2002. 407 S.,
£ 19.90.